Geht es mir wirklich besser, wenn ich etwas Unsinniges tue?

 

Als es mir einmal nach einer total deprimierenden Erfahrung so richtig schlecht ging, sprach ich mit meiner Bekannten Angela darüber.

 

 

Sie hörte sich die ganze Geschichte an und meinte, es täte ihr  alles  sehr  leid  und  sie  könne  verstehen,  warum  ich  so deprimiert  sei.  Aber,  so  meinte  sie,  vielleicht  wäre  es  einfach  an  der  Zeit,  wieder  einmal  etwas  zu  tun,  wofür  ich sonst  keine  Zeit  hätte,  eben  einfach  mal  eine  kleine  Auszeit nehmen.

 

 

 

Ich  fragte  sie,  was  sie  wohl  meine:  ein  Buch  zu  lesen  oder einfach  nach  fast  3  Jahren  mal  wieder  in  den  Fernseher  zu starren? Nein, sagte Angela, ich solle einfach mal was total Unsinniges tun.  Irgendetwas,  was  ich  sonst  nicht  machen  würde  und  was total hirnrissig sei …

 

 

 

Einige  Stunden  nach  diesem  Gespräch  (ich  dachte  schon  gar nicht  mehr  richtig  daran)  ergab  es  sich,  dass  ich  mit  meinem Mann  nach  Kaarst  zu  einem  Möbelmarkt  fuhr.  Unser  (mittlerer) Sohn suchte  eine  neue  Couch  und  wir  wollten  uns  für  ihn  einmal umsehen. Nun, eine  Couch hatten wir auch schnell gefunden; wir sahen dabei aber auch einige Couchtische, die uns ganz gut gefielen, aber leider mit einer Glasplatte versehen waren, die wir  nun  gerade  nicht  mehr  wollten.  Denn vor einiger Zeit war eine unserer Katzen mit viel Schwung auf unseren Glastisch gesprunge. Die  Glasplatte verrutschte auf den "Stoppern", sie hob ab und segelte ein Stück durch den Raum, um dann mit einem lauten Knall gegen die Wand zu fliegen und in tausende kleine Scherben zu zerspringen.

 

 

 

Da  kein kleiner Tisch ohne Glasplatte in  dem Möbelmarkt zu vernünftigen Preisen zu finden war, kam ich auf die Idee:

 

 

 

"Wir haben doch gerade Zeit, lass uns doch mal rüber zu IKEA gehen."

 

 

 

Also fuhren wir zu IKEA. Als wir den Wagen geparkt hatten und über  den  Parkplatz  auf  den  Eingang  zugingen,  fiel  mir  das Gespräch  mit  Angela  wieder  ein  und  ich  sagte  zu  meinem Mann: „Angela hat gesagt, wir sollten was total unsinniges tun. Ich  glaube,  IKEA  ist  unsinnig  genug.“   

 

 

 

Denn  normalerweise betreten wir IKEA nicht freiwillig. Man rennt ständig im Kreis und versucht  verzweifelt  einen  Ausgang  zu  finden   also  eine ziemlich unsinnige Aktion für so einen kleinen Tisch.

 

 

 

Bereits am Eingang hingen so halb von der Wand herab genau solche Tische, wie wir sie suchten. Mein Mann sagte sogleich: „Das sind sie. Wo kann man sich die hier denn wegnehmen?“

 

 

Meine Antwort war: „Dafür müssen wir reingehen.“ Mein  Mann daraufhin:  „Das  ist  total  bekloppt.  Dafür  müssen  wir  jetzt  hier durch den ganzen Laden rennen?“ und wollte schon umdrehen, ging  dann  aber  nach  meiner  kurzen  Erinnerung,  „wir  wollten doch was Unsinniges tun“ doch mit.

 

 

 

Schon nach wenigen Runden hörte ich ihn hinter mir brummen: “Das ist doch die reinste Verarsche hier. Ich nehm‘ gleich den nächsten Notausgang, da kommt man auch raus!“ Ich erinnerte ihn erneut an die Unsinnigkeit … 

 

 

 

Auf  dem  Weg  in  Runden  quer  durch  IKEA  stoppte  er  an  der ersten Fress-Möglichkeit  und  meinte,  "hier  können  wir  direkt etwas essen …"  Wir gingen also in dieses IKEA-Restaurant hinein und stellten uns mit einem Tablett in der Hand an der Schlange an. Mein Mann war vor mit dem Bestellen dran und entschied sich für „Cevapcici mit Pommes“. Ich schaute auf die Speisetafel an der Wand, überlegte kurz und entschied mich – der Unsinnigkeit wegen , denn ich esse sonst niemals Fisch, weil ich ihn gar nicht mag   für  Lachs  mit  Kräutersoße,  Wurzelgemüse  und  einem Beilagen-Gemisch aus Kartoffeln und Broccoli. 

 

 

 

Mit  unseren  gefüllten  Tabletts  suchten  wir  dann  einen  freien Tisch und nahmen den erstbesten, der in der Nähe war, ohne das „Umfeld“ zu betrachten; denn wir saßen nun genau mitten in der „Kinderabteilung“.  Während wir aßen schrie alles um uns herum und mein Mann meinte:  „Hab  ich  schon  gesagt,  dass  ich  Kinder  hasse?“  (Wir haben  selbst  3  Söhne,  allerdings  heute  schon  in fortgeschrittenem  Stadium,  d.h.  weit über  18  und  sind  des Kindergeschreis bereits „entwöhnt“.) Ich grinste mir einen.

 

 

Wir aßen relativ gelassen und es schmeckte – insbesondere mir – auch gar nicht ganz so schlecht. Nur bei den letzten Bissen musste ich mich arg zusammennehmen.

 

 

 

Nach  dem  Essen  meinte  mein  Mann  dann  mit  Blick  auf  das Toilettenschild, da wolle er noch mal hin. Während er sich auf dem „Örtchen“ aufhielt schaute ich mich um:

 

 

 

An einem Tisch schräg mir  gegenüber  saß  eine  Frau,  die  ihr  windeltragendes  Kind einfach mit derselben auf der Tischplatte vor sich geparkt hatte. Gut, dass der Nächste, der an diesem Platz essen würde, nichts von der Vorgeschichte der Tischplatte wissen würde …

 

 

 

Rechts von ihr versuchte eine ältere Frau, mit einem – wohl bei IKEA  erworbenen   roten  Ball  das  Kind  zu  beeindrucken,  das nur wie ein Honigkuchenpferd zu ihr hin glotzte.

 

 

 

Direkt  links  neben  mir  saß  eine  junge  Familie,  bestehend  aus Vater,  Mutter,  einem  ca.  2  Jahre  alten  Mädchen  und  einem Baby mir unbekannten Geschlechtes.  Die 2-jährige hüpfte, sich am  Kinderwagen  festhaltend,  auf  und  nieder,  die  Mutter  war völlig gelassen und der Vater hielt das Baby auf dem Arm, dass im Begriff war, einzuschlafen. Bevor er es in den Kinderwagen legte, schnüffelte er intensiv  an  der  Rückseite  des  Kindes, verzog das Gesicht und übergab das Baby mit einem Satz, den ich nicht verstehen konnte, seiner Frau. Diese nahm daraufhin  das  Baby und  verschwand  mit  beiden  Kindern  hinter  der  WC-Türe.

 

 

 

Kurz darauf  kam  mein  Mann  zurück,  schaute  mich  an  und  sagte ziemlich  tonlos:  „Warum  steht  da  ein  Wickeltisch  in  der Herrentoilette  und  warum  hängt  der  Kondom-Automat  direkt daneben?“

 

 

Darauf hatte auch ich keine Antwort, aber vielleicht soll das für Väter  und  Nicht-Väter  einfach  nur  ein  Hinweis  sein,  wie  man den Wickeltisch umgehen kann …

 

 

 

Na  ja,  wir  liefen  dann  jedenfalls  weiter  unsere  Runden  durch IKEA  - in der Hoffnung irgendwann den Ausgang zu finden.Nach einiger Zeit fanden wir dann das ersehnte Schild mit der Aufschrift  „Zur  Markthalle“,  bogen  freudig  ab  und  standen prompt vor einem Regal mit Klobrillen. Da unser ältester Sohn auch so ein Ding in „Neu“ brauchen konnte, griffen wir zu und nahmen für ihn auch noch ein „Geschenk“ mit.

 

 

 

Den Stapel mit den Tischen fanden wir relativ einfach, weil auf dem Gang etliche Stapel dieser Tische in den verschiedensten Farben  standen     immer  mit  einigem  Abstand  zu  dem vorhergehenden.Wir schnappten uns schnell zwei davon und stellten uns in der Schlange an der Kasse an. Vor und hinter uns begann es laut zu schreien – hier gab es offenbar jede Menge unwillige Kinder. Wir  bezahlten,  gingen  zu  unserem  Wagen  und  fuhren  die 10 Minuten  nach  Hause. 

 

 

Kurz  vor  der  Haustüre  begann  es  dann: Das Unwetter in meinen Eingeweiden!  Mein Körper hatte wohl erkannt, was ich kurze Zeit vorher gegessen hatte und war der Meinung,  er  müsse  den  Fisch  über  den  nächstliegenden Ausgang umgehend wieder loswerden.

 

 

Seit dem pendele ich nun immer hin und her: Zwischen meinem Schreibtisch,  wo  ich  diese  Geschichte  aufschreibe  und  der Kloschüssel.

 

 

Ob  es mir  nun  wirklich  besser geht,  nachdem  ich - für mich - wirklich  unsinnige  Dinge  getan  habe?  Ich  weiß  es  nicht,  aber zumindest  bin  ich  jetzt  eine  Weile  stark  von  anderen  Dingen abgelenkt …

 

(Petra Schmidt)