Mein Leben als Deutsche in der Türkei

Angelika Hoffmann-Cigdem
Angelika Hoffmann-Cigdem

Als junge Frau hat man viele Illusionen und Ideen und man meint, nichts könne falsch sein und alles hält ewig. Aber die rosarote Brille fällt irgendwann von der Nase und dann wird man - Knall auf Fall - mit der Wirklichkeit konfrontiert.

 

So war es auch bei mir ...

Am 25.07.1968 wurde ich in Vreden/Ahaus an der holländischen Grenze geboren. Mein Vater arbeitete dort beim Zoll an der Grenze. Er war immer in Begleitung seines Schäferhundes, der in der Zollhundeschule ausgebildet wurde und ihm nicht von der Seite wich.

 

1970 wurde mein Vater nach Minden versetzt und sein damaliger Diensthund-Welpe "Castro" kam ebenfalls mit. So wuchs ich gemeinsam mit dem vierbeinigen Freund heran. Oft fand man mich in seiner Hundehütte, dicht an den Freund gekuschelt und als er größer wurde zog er mich im Winter mit dem Schlitten.

 

Es war eine schöne Zeit. Dennoch war ich noch sehr klein und habe nicht verstehen können, was es heißt, dass "Castro" an Epilepsie erkrankte und Medikamente bekam. Ich kann mich noch immer an den Geruch beim Tierarzt erinnern, nicht aber an seine immer öfter auftretenden nächtlichen Anfälle. Heute weiß ich, dass die Belastung, die meine Eltern durchmachten, sehr groß war. Als die Anfälle schlimmer wurden und die Medikamente Castro nicht mehr halfen, mussten sie ihn erlösen.

 

Als meine Eltern mir sagten, dass Castro über die Regenbogenbrücke gegangen war, war ich sehr traurig. Denn er war mein großer Freund und Beschützer.

 

Lange Zeit hatten wir dann keinen eigenen Hund mehr, aber mein Vater führte weiterhin Hunde von Kollegen und Bekannten aus und so mache Stunde verbrachten wir damals gemeinsam auf dem Hundeplatz, auf dem Castro lange zuvor sogar mit Höchstpunktezahl seine Schutzhundeprüfung gewann.

 

Mit 10 Jahren bekam ich dann ein Kaninchen, das leider nach einer Weile an einem Leberschaden starb.

 

1987 bestand ich das Abitur und begann eine Ausbildung zur PTA (Pharmazeutisch-technische Assistentin), die ich ebenfalls erfolgreich beendete und so begann ich mein Arbeitsleben in der Apotheke im Nachbarort.

 

Dann kam mein erster Urlaub in der Türkei

Ich war so begeistert von dem Land und den Leuten, dass ich gleich im darauf folgenden Jahr nochmals mit meiner Freundin dort Urlaub machte. Hierbei lernte ich hier auch meinen Mann kennen und zog ein Jahr später - mit 22 Jahren - in die Türkei. Mit im "Gepäck" waren meine beiden Wellensittiche Olly und Birdy.

 

 

Mit der ersten Fähre landeten wir dann von Ancona aus in Kusadasi. Es folgte die Hochzeit und einige Jahre später wurde auch unsere Tochter Sirin-Marie geboren.

 

Vom ersten Tag an bedrückte mich das Leid der Straßentiere, das ich tagtäglich mit ansehen musste und so habe ich immer wieder Straßentiere gepflegt und aufgepäppelt, ihnen zu Fressen gegeben und mit dem geringen Budget, das ich hatte, kastriert.

 

Irgendwann haben wir dann einen Dobermann-Welpen übernommen, der mit 15 Jahre in großer Freundschaft zur Seite stand. Er war ein Traum von einem Hund mit einer ganz zarten Seele und er hatte auch kein Problem damit, wenn ich mal eine Katze mitbrachte, die verletzt war.

 

 

 

Seit dieser Zeit kenne ich Nevzat, unseren Tierarzt, der damals frisch von der Uni kam und in der Praxis seines Vaters zu arbeiten begann. Als sein Vater dann plötzlich innerhalb von nur einem Monat an Blutkrebs starb, musste er die Praxis weiterführen und so blieb er in Kusadasi, um den Tieren dort zu helfen.

 

 

 

 

 

Wie das Leben so spielt ...

Meine Ehe war nicht für die Ewigkeit gemacht und so saß ich irgendwann mit meiner kleinen Tochter allein und ohne Mann in unserem Haus in Kusadasi. Ich hatte die Wahl, nach Deutschland zurückzugehen oder in der Türkei zu bleiben. Letztendlich entschloss ich mich für die zweite Lösung, denn ich hatte das Land und viele Leute hier sehr lieb gewonnen. Die Türkei war meine Heimat geworden. Außerdem hätte ich es nicht über's Herz gebracht, die vielen Straßentiere, die mich kannten und sich auf mich verließen, im Stich zu lassen.

 

Also suchte ich mir eine Arbeit, um den Lebensunterhalt für Sirin und mich zu verdienen, was für eine Deutsche in der Türkei nicht einfach ist. Dennoch schaffte ich es und fand einen Job in einem Call-Center. Damals wie heute ist es ein hartes Geschäft, den ganzen Tag zu telefonieren, die - damals noch kleine und die heute mit allem drum und dran im Teenager-Alter befindliche - Tochter aufzuziehen und zusätzlich die vielen Tiere zu versorgen.

 

Ende der 90er Jahre

lernte ich einige englische Touristen kennen, die gerade einige Tiere in Nevzat's Praxis brachten und ebenfalls von dem Leid der Tiere erschlagen wurden. Überall wimmelte es nur so vor Katzen und so fingen wir an, zu kastrieren. Sie wollten unbedingt helfen und sammelten in England Gelder, um die Kastrationen bezahlen zu können. Aus dem zunächst flüchten Kennenlernen entstand eine Freundschaft, die auch heute noch besteht.

 

Bei jedem Besuch meiner englischen Freunde fingen wir Katzen ein und kastrierten sie. Einige Tiere wurden damals auch nach England ausgeflogen, was sich jedoch wegen der langen Quarantänezeit als nicht tierschutzgerecht erwies und so arbeiteten wir in Kusadasi - sozusagen an der Basis - weiter und kastrierten, damit die Population sinkt.

 

Fast zeitgleich begannen Verhandlungen durch eine Gruppe Deutscher mit dem städtischen Tierheim. Es sollte dort eine deutsche Leitung geben und mit der Unterstützung aus Deutschland sollten die sehr schlimmen Zustände zu Gunsten der Tiere verändert werden, denn türkische Arbeiter zu finden, die sich mit den Tieren beschäftigen, ist nicht leicht.

 

Ich lerne den organisierten Tierschutz kennen

Irgendwann sprach mich Nevzat, der mit dieser deutschen Organisation in Kontakt stand, an, ob ich nicht ein paar Katzen einfangen könnte. Es würden durch die deutsche Organisation auch Katzenkastrationen gewünscht. So rutschte ich immer tiefer in die Kastrationen hinein und ich wurde immer öfter mit dem Namen "Katzen-Angelika" angesprochen. Als die zuständige Mitarbeiterin der damaligen deutschen Organisation vor Ort ausscheidet, bekomme ich die dortige Leitung übertragen - weil ja sonst keiner da ist.

 

So entwickelte sich mit der Zeit ein recht großes Netzwerk und im Laufe der nächsten Jahre wurden auch mit Spendengeldern dieses Vereins Straßentiere kastriert. Auch meine englischen Freunde kastrierten weiter. Die Zahl der kastrierten Tiere wuchs enorm an und die Population und das Elend auf der Straße verringerte sich allmählich. Es wimmelte zwar immer noch nur so vor Katzen auf den Straßen, aber der Bestand der Straßenhunde war schon gut eingedämmt. Zeitgleich wird auch ein Rehabilitationszentrum für Hunde in Kusadasi eröffnet, das von der Gemeinde eigenständig geführt wird und so bessert sich die Situation für die Straßentiere.

 

Während dieser Zeit lerne ich auch andere Tierschutz-Projekte in der Türkei kennen, wie beispielsweise in Özdere. Wir helfen uns gegenseitig, denn schließlich haben wir das gleiche Leid und das gleiche Ziel. 

 

 

Mitte 2012 beendet die deutsche Organisation unsere Zusammenarbeit und verlegen ihren Aktionsschwerpunkt in einen anderen Teil der Türkei.

 

Mir war klar, dass ich es allein nicht würde schaffen können, die bereits erreichte Reduzierung der Population der Straßentiere auf dem bestehenden Level zu halten. Von einer Freundin in Deutschland hatte ich schon viel von Sunnydays for Animals e.V. gehört. Der Verein unterstützte schon seit Jahren Projekte in der Türkei und ich hatte immer nur Gutes über diesen doch recht kleinen Verein, der so große Hilfe gab, gehört.

 

"Zweigstelle Kusadasi"

Als dann im Sommer 2012 das damalige Türkei-Projekt des Vereins endete, stellte meine Freundin den Kontakt zwischen uns her. Aus vielen Gesprächen wurde letztendlich eine sehr gut funktionierende Zusammenarbeit. Unseren ersten gemeinsamen Schritt begannen wir mit der Kastrationsaktion im Oktober 2012, die Dank der Spenderinnen und Spender ein großer Erfolg wurde. Selbstredend wurde ich auch Mitglied im Verein und nicht zuletzt die "Sunnydays-Zweigstelle in Kusadasi". Zusammen mit meiner Tochter Sirin versorge ich in unserer kleine Auffangstation misshandelte und kranke Tiere und natürlich auch oftmals mutterlose Hunde- und Katzenwelpen, die ohne unsere Hilfe nicht überleben würden.

 

 

Mittlerweile pflege und beherberge ich an die 40 Katzen und etliche Hunde die ausgesetzt und/oder gequält wurden, die in und um mein Haus herum leben, in dem ich noch immer mit meiner Tochter wohne.

 

 

Meine heute 16-jährige Tochter bringt oftmals auch Welpen von der Schule mit. Ihre Mitschüler und Lehrer fragen sie in punkto Tierschutz, wenn sie nicht weiter wissen. Sirin wächst mit den Tieren und dem Bedürfnis, ihnen Schutz zu gewähren auf. Sie kann ebenfalls nicht wegsehen, wenn es Probleme gibt und handelt dann umgehend.

So haben wir eine große Schar an Tieren, die unsere Nähe suchen, Hilfe erbeten und wir geben unsere Liebe an sie weiter; begleiten und lassen auch los und erlösen sie, wenn es nicht mehr geht.

 

Daher sind wir dankbar und froh, dass Sunnydays und die vielen Spender in Deutschland uns aufgefangen haben. Es ist für uns eine große Erleichterung, wenn wir das Leid hier vor Ort lindern, Heilung bringen und eine hungernde Seele füttern können. Denn die Tiere haben nur Hunger und sie kommen täglich zu ihrer Futterstelle, weil sie wissen, dass wir da sind und ihnen helfen.

 

Nevzat ist jederzeit für uns da und hilft. Wir sind ein gutes Team und mittlerweile erhalten wir auch praktische Hilfe von einigen Einheimischen, die beispielsweise einen Teil der Tiere an den Futterstellen betreuen. Doch unsere eigenen finanziellen Mittel sind begrenzt und so ist das Leid und der Hunger der Straßentiere groß.

Ich werde den armen Seelen hier immer helfen und ihnen zur Seite stehen. Oftmals ist das sehr schwer, insbesondere wenn es gequälte und verunfallte Tiere sind und man Tag um Tag und Nacht um Nacht an ihrer Seite sitzt und man die lieb gewonnenen Tiere, deren Leid mir sehr nahe geht, letztendlich doch gehen lassen muss.

 

Auch ich brauche dann einen "starken Rücken", an den ich mich anlehnen und eine Schulter, an der ich meine Tränen und Gedanken lassen kann. Deshalb freue ich mich so über Ihre und Eure Unterstützung; dass Ihr uns und die vielen Straßentiere nicht im Stich lasst und ich mich hin und wieder bei Euch anlehnen kann.

 

 

Danke!

 

 

Nicht zuletzt möchte ich mich nochmals ausdrücklich bei allen bedanken. Den Spenderinnen und Spendern, den Patinnen und Paten, den Vereinsmitgliedern, den Flugpaten - eben bei allen, die Sunnydays ausmachen und den Tieren und uns hier helfen, damit wir helfen können.

 

Herzlichen Dank!